Alan Gratz, Amy und die geheime Bibliothek, dtv (Hanser-Reihe), 2017.
Als Amys absolutes Lieblingsbuch aus der Schulbibliothek verschwindet, versteht sie die Welt nicht mehr. Das Buch, das sie auf Schritt und Tritt begleitet, soll Kinder zum Lügen und Ausreißen anstiften? So ein Blödsinn! Der Schulausschluss und v.a. die verklemmte Mrs. Spencer, die für das Ausräumen des Buches gesorgt hat, haben echt keine Ahnung! Doch als mehr und mehr Bücher unter ähnlich absurden Gründen aus der Bibliothek verbannt werden, gründet die sonst so schüchterne und brave Amy die G.S.B – die geheime Schließfachbibliothek. Mit ihren Freund:innen macht sie sich daran, jedes Einzelne der verbannten Bücher aufzutreiben und unter der Hand (oder genauer, in ihrem Schließfach) für ihre Mitschüler:innen verfügbar zu machen. Doch als ihr Geheimnis, trotz selbstdesignter Deck-Buchcover und erfundenerer Buchtitel, auffliegt, müssen sich Amy und ihre Freund:innen etwas Größeres einfallen lassen – Gottseidank können sie dafür auf ganz unerwartete Hilfe zählen…
Eigentlich stand dieses Buch von dem weißen Autoren Alan Gratz recht weit unten auf meiner Rezensionsliste, denn wenn ich ehrlich bin: so ganz überzeugt mich dieses Buch nicht. Die Idee ist gut, aber Amy ist mir teilweise echt zu streberisch brav und unsympathisch (z.B. findet sie die Fragen, die die anderen Kinder dem eingeladenen Autor stellen, alle „dämlich“ und scheint ihre beste Freundin in erster Linie nur nervig zu finden ), die Erzählstruktur ist sehr Hollywood klassisch, die weißen Figuren werden (in der deutschen Übersetzung) als „hellhäutig“ bezeichnet (ähem, “weiß“ ist kein Schimpfwort, genauso wenig wie Schwarz) und vor allem wird wiederholt betont, dass niemand „außer die Eltern“ einem Kind verbieten kann, ein Buch zu lesen. Seriously, Eltern dürfen ihrem Kind verbieten, ein bestimmtes Buch zu lesen!!? Gut, dass meine das nicht wussten: ich habe als Kind reihenweise Dolly, Nesthäkchen und sogar Pucki gelesen und meine Eltern haben das (höchstwahrscheinlich innerlich schluckend) hingenommen. (Keine Angst, ich bin übrigens weder eine brave Hausfrau noch eine Nazibraut geworden.) Die Tatsache, dass in der allerletzten Szene Amys Vater ihr tatsächlich verbietet, ein Buch zu lesen, das er als nicht altersgemäß einschätzt, und Amy einsieht, dass er recht hat, lässt darauf schließen, dass die explizite Botschaft „Kämpf für das was dir wichtig ist!“ der (auf erzähltheoretischer Ebene vermittelten) „P.S.“-Botschaft „Aber gehorche immer deinen Eltern!“ untergeordnet ist. (pfff…)
Kurz, eigentlich gehört Amy, trotz der Tatsache, dass sie eine Schwarze Leseratte ist, nicht zu meinen favourites. Aber aus aktuellem Anlass (Stichwort Papierklavier und katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis. Oder nein, sorry: Papierklavier und kein katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis) musste ich es dann trotzdem rezensieren. Und einiges hat mir am Buch ja auch gefallen! Die Buchtitelerfinden-Aktion z.B. oder Amys Vorstellung von Bibliothekswissenschaftler:innen als verrückte Forscher:innen, die neu entdeckte Wörter in Reagenzgläser umherschwenken, oder die (echt großartige!) Showdown-Aktion, mit denen sich alle Kinder am Ende zusammen tun, um die verbotenen Bücher zurück zu holen. Also, kein persönlicher Favorit, aber sicher etwas für…
… Leseratten ab 10, die (wie ich) Matilda und AlleKinderGegenEinenDoofenErwachsenen-Aktionen lieben. Und für die deutsche Bischofskonferenz.
PS: Für diejenigen die sich jetzt wundern wie mein „Kinder dürfen alles lesen!“-Aufschrei mit meinem Wunsch, rassistische Kinderbücher aus den Bibliotheken zu entfernen (oder mindestens als solches zu markieren) zusammen geht: da geht es um das Grundrecht auf Nichtdiskriminierung! (aber die Frage ist natürlich trotzdem berechtigt).